Die christliche Sekte der "Zwölf Stämme": an was glauben diese (prügelnden) Bibel-Fundamentalisten eigentlich?


Derzeit berichten die Medien über die in den USA gegründete christlich-fundamentale Sekte der "Zwölf Stämme". Der Sender RTL schleuste einen Journalisten in die Gruppe ein und konnte so dokumentieren, dass innerhalb der "verschworenen Gemeinschaft" dieser christlichen Fundamentalisten offenbar Prügel & Co. gegen die (eigenen) Kinder als "normal" angesehen werden. Über diese Bibel-Sekte habe ich bereits einmal publiziert - hier ein paar Hintergründe.


Von Lars A. Fischinger

Liebe Freundinnen und Freunde!

Die Aufregung, die RTL durch ihre Berichte auslöste, ist verständlicherweise sehr groß!

Aber:

Solche vollkommen abzulehnenden Prügel-„Strafen“ gegen wehrlose Kinder sind in vielen Sekten schlicht und einfach normal. Physische und psychische Gewalt gehört in vielen „neureligiösen Gruppen“ leider dazu.

Ich habe bereits Ende 2004 auf die fundamentale Bibel-Sekte der „Zwölf Stämme“ (nach den 12 Stämmen des Alten Testament) in einem Online-Artikel hingewiesen. Damals ging es jedoch nicht um die schrecklichen (physischen) Misshandlungen der Kinder, sondern um die Weltanschauung der Sekte an sich. Denn vor bald zehn Jahren bekam es die Sekte bereits mit dem Gesetz zu tun, da deren Mitglieder sich standhaft weigerten ihre Kinder in „normale Schulen“ zu schicken. Sogar Erzwingungshaft gegen die Väter wurde damals erlassen.

Dieses Thema kling auch aktuell (und auch immer mal wieder bei anderen Gruppen, Religionen usw.) in den aktuellen Medien-Berichten heraus: 

Öffentliche Schulen? – Nein, danke! 

Aber warum ist das so und was steckt dahinter? In meinem kommenden Buch „Rebellion der Astronautenwächter“, das ich bereits 2003 begonnen habe, gehe ich darauf genauer ein (beim Thema "Ache Noah"). Denn solche christlich-fundamentalen Gruppen nennt man „Kreationisten“, die ein ganz anderes Weltbild haben, als es die Allgemeinheit in der Schule gelehrt bekommt. Meistens…

Im oben genannten Buch gehe ich in einigen Kapiteln genauer auf die „Arche Noah“ ein. Laut dem 1. Buch Mose war sie ein Holzschiff, mit dem die Menschheit unter Führung von Noah die Sintflut überlebte. Die Arche und ihre Passagiere sollen 40 bis 150 Tage lang über das Wasser der Flut geschifft sein, bis sie anlandeten. Die Story ist hinlänglich bekannt.

Ist es eine Mär oder ein geschichtlicher Tatsachenbericht? Das frage auch der Fernsehsender ABC aus den USA in einer Umfrage am 15. Februar 2004. Einige Monate bevor die „Zwölf Stämme“ in Deutschland ärger mit der Justiz bekamen. Das Ergebnis der US-Umfrage war erstaunlich. Von den US-Amerikanern waren 60 Prozent überzeugt, dass die Überlieferung der Arche Noah aus dem Alten Testament eine Tatsache ist. Ebenso die Schöpfung der Welt und des Menschen in sechs Tagen. Eine etwas spätere Umfrage im Juni 2005 durch das Meinungsforschungsinstitut „Harris Interactive“ in den USA ergab wiederum, dass 74 Prozent der Amerikaner an den Kreationismus oder das das "Intelligente Design" der Welt glauben.[i]

In ganz Europa sind es dagegen durchschnittlich „nur“(?) 18 Prozent, die derartige Dinge wortwörtlich glauben. Auch eine Verfilmung des Arche Noah-Stoffes war im Mai 1999 in den USA ein Straßenfeger. Die Erstausstrahlung von „Arche Noah – Das größte Abenteuer der Menschheit“ sahen 90 Millionen Amerikaner.

Einen „Feldzug“ für die wörtliche Richtigkeit der biblischen Geschichten der Schöpfung in sechs Tagen und gegen die Lehre von Darwin und der Evolution, führen die Kreationisten seit Jahrzehnten. Von ihrem 1972 gegründeten „Institute for Creation Research“ nahe San Diego aus versuchen die Kreationisten das „Wort Gottes“ als Wissenschaft zu verkünden. Ebenso durch die von Henry M. Mossis 1963 gegründete „Creation Research Society“, der heute nach eigenen Angaben fast 2.000 Mitglieder angehören. Darunter auch Naturwissenschaftler und Professoren von Universitäten, die regelmäßig ihre Forschungsergebnisse auch veröffentlichen, wie es deren Webseite creationresearch.org zu entnehmen ist.

Grundeinstellung der „Jungen-Erde-These“ der „Krieger Gottes“:

Die Erde ist nur 6.000 bis 10.000 Jahre alt und wurde durch Gott geschaffen. Evolution gab und gibt es nicht. Alles existierte gleichzeitig. So auch die Dinosaurier und die Menschen als Schöpfungen des Herrn.[ii] Teilweise glauben sie auch, dass das ganze Universum erst so jung ist. Damit also keine 13,7 Milliarden Jahre, wie es heute berechnet wird. Das 1. Buch Moses müssen man dabei natürlich wörtlich nehmen – und dies seinen Tatsachenberichte einer vergangenen Zeit Gottes. Moderne Datierungsmethoden werden durchweg abgelehnt und in Frage gestellt bzw. als falsch angesehen.

Eher glaubt man zum Beispiel den Berechnungen des englischen Erzbischofs James Ussher (1581 – 1656) zur Weltgeschichte, die er 1650 in „Annales veteris testamenti, a prima mundi origine deducti“ vorlegte. Darin legte er aufgrund von Berechnungen biblischer Daten die Schöpfung auf den Vorabend des 23. Oktober 4004 vor Christus fest. Daraus abgeleitet fand nach Ussher die Flut dann im Jahre 2501 vor Christus statt.[iii] Ab 1961 dann boomte diese Idee der jungen Erde und der realen biblischen Schöpfung neu auf. Da veröffentlichten die Kreationisten Henry M. Morris und John C. Whitcomb jr. ihren Bestseller "The Genesis Flood" und sorgten für leidenschaftliche Debatten.

Dabei haben die Kreationisten aber bis heute durchaus eine Reihe Erfolge bei ihrem Kreuzzug gegen die Evolutions-Theorie zu verzeichnen. In den USA mussten nicht nur Schulbücher, die die Evolutionslehre enthalten, auch die Lehre, dass Gott die Welt schuf, als gleichberechtigt anführen. In einigen Bundesstaaten waren und sind Lehrer verpflichtet, Warnungen vor dem Unterricht zu verlesen, dass die Evolutionslehre von Darwin nur eine Spekulation sei. Anderorts wurden Schulbücher mit entsprechenden Warnaufklebern versehen und Lehrer, die es wagten den Darwinismus als Fakt zu lehren, wurden zu Geldstrafen verurteilt. Und dass, obwohl einige Kreationisten-Radikale sogar glauben, dass die Erde eine Scheibe ist.[iv]

Erst im Jahre 1968(!) wurde der so genannte „Supreme Count“ in den USA verabschiedet, der die Evolutionslehre an Schulen erlaubt. Nach den Kreationisten war dies der Anfang vom Untergang und der Sittenverfall in den USA. Zum Beispiel Drogen, Kriminalität, sexuelle Ausschweifungen, Abtreibungen und Scheidungen würden seit dem in den USA enorm ansteigen. Für die Kreationisten besteht hier eben ein Zusammenhang zu der Lehre des Charles Darwin. Doch schon 1919 verkündete Präsidentschaftskandidat William J. Bryan mehrfach, dass der erste Weltkrieg in Europa die Strafe Gottes für die Gottlosigkeit all jener sei, die mehr Darwin als der Bibel glauben. So kam es auch, dass in den zwanziger Jahren in 20 Bundesstaaten der USA per Gesetz die Evolutionslehre auf den Index kam bzw. deren Verbreitung dadurch verhindert werden sollte.

 So lösten sich Erfolge – aber auch Rückschläge – der Kreationisten ab. Im Sommer 1999 jedoch kam es zu einem besonderen Erfolg In den Schulen von Kansas wurde verboten Fragen zum Urknall und der Evolution in staatlichen Prüfungen zu stellen. Im Oktober 1999 wurde ein gleicher Antrag in New Mexiko jedoch abgelehnt.[v] Als einen „Rückfall ins tiefste Mittelalter“ bezeichneten damals Wissenschaftler den Beschluss des „School Board Committee“ im republikanischen Staat Kansas. Stan Roth, Biologielehrer in Kansas, weigerte sich jedoch den Kreationismus zu unterrichten, den er als unwissenschaftlich bezeichnete. Als seine Schülerin Anna Harvey diese Weigerung meldete, kam es zu einer offiziellen Anhörung und der Lehrer wurde nach 40 Jahren Schuldienst entlassen.[vi]

Einen derben Rückschlag gab es dann 2007. Der Europarat gab während ihrer Versammlung am 4. Oktober in Straßburg eine Pressemitteilung zu den Kreationisten über die "Gefahren des Kreationismus in der Bildung"[vii] heraus. In dieser heißt es unmissverständlich:

Die Abgeordneten aus den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates haben ihre Regierungen nachdrücklich aufgefordert, mit ,aller Entschiedenheit' gegen die Einbeziehung des Kreationismus – der die Evolution der Arten durch natürliche Auslese leugnet – in den Unterricht als gleichberechtigte Wissenschaftsdisziplin neben der Evolutionstheorie anzugehen.“[viii]

Dennoch bezeichnet Dr. John D. Morris, Präsident der Kreationisten in San Diego, den Kreationismus und seine Mitstreiter als „Krieger für den Glauben“. Gab es keine Arche, gab es keine Schöpfung durch die Hand Gottes in sechs Tagen, so Dr. Morris, dann könne man auch „einfach alles hinschmeißen“. Eine zufällige Abstammung der Arten durch Mutation und Selektion aus der „Ursuppe“ bis hin zum Menschen ist im kreationistischen Weltbild undenkbar. Darwinismus ist eine Art Sündenfall der Moderne.[ix]

Hier bei uns in Deutschland kursiert der Kreationismus kaum und wenn, dann in den Weiten des Internet. Oder eben in fundamentalen Gruppen. Auch wenn der Kreationismus hier eindeutig auf dem Vormarsch ist. Islamische Fundamentalisten in Deutschland lehnen die Evolution ebenso ab und spotten in entsprechenden Videos im Internet darüber. Übrigens auch über UFOs und Außerirdische irgendwo im All, die sie mit Blick in den Koran für Teufelszeug und verführerische Dämonen halten.

Im nordschwäbischen Gut Klosterzimmern lebt nun eben diese christliche Glaubensgemeinschaft „Zwölf Stämme“. Eine Gruppe fundamentaler Bibellobbyisten, die sich seit Jahren weigern, ihre Kinder in staatliche Schulden zu schicken. Und nicht erst „seit gestern“. Buß- und Zwangsgelder, die sich bereits auf über 150.000 Euro belaufen, erbrachten dabei ebenso wenig Erfolg wie Erzwingungshaft gegen die Erziehungsberechtigten.[x] „Wir wollen unsere Kinder nur vor schlechten Einflüssen schützen“, kommentiert Sprecher Holger Röhrs schon 2004 den Starrsinn der Gruppe gegen die Schulpflicht ihrer Kinder. Man wolle vor allem nicht, dass die Kinder der „Zwölf Stämme“ Sexualkunde und natürlich die Evolutionstheorie in den Schulen lernen.[xi]

In dieser Zeit vor rund 10 Jahren glaubten in Deutschland nur 12,5 Prozent an den Kreationismus, wie es eine forsa-Umfrage im Auftrag der „Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland“ (fowid) Ende 2005 ergab. Interessant an der trockenen Statistik ist auch, dass vor allem Kirchengänger zu den Anhängern des Kreationismus zählen. Diese glauben auch ehr die Idee des „Intelligenten Design“. Das heißt, die These, dass ein Schöpfer für die Welt verantwortlich ist. Mit steigendem Bildungsniveau nimmt diese Überzeugung deutlich ab: 22,5 Prozent der Hauptschüler glauben an derartige Lehren – aber nur 5,8 Prozent mit einem Hochschulstudium.[xii] Interessant auch eine andere Umfrage vom August 2005 zur Bibel: nur 13 Prozent gaben 2005 an oft bis "hin und wieder" in der Bibel zu lesen - 62 Prozent hingegen "nie" …

Für Unruhe hingegen sorgte schon 2003 Wolf-Ekkehard Lönning, Leiter einer Gruppe Genetiker am Max-Planck-Institute für Züchtungsforschung (MPIZ) in Köln. Durch seine Forschungen ist er zu der Überzeugung gekommen, dass hinter der Welt ein „Designer“ steht. Eben das „Intelligente Design“. Das Wort „Gott“ wurde von Lönning dabei aber strickt vermieden. Lönning hat 1.000 Seiten über seine Idee verfasst und über den offiziellen Server des Institutes in Köln im Internet veröffentlicht. Das rief Peter Gruß, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft auf den Plan, der eine Überprüfung der Schrift von den vier Direktoren des Kölner Institutes forderte. Man kam zu dem Ergebnis, dass man sich mit den Schriften und Thesen von Lönning „lächerlich gemacht“ habe, so Direktor Paul Schulze-Lefert.

Biologieprofessor Ulrich Kutschera aus Kassel warf Lönning „Verbreitung einer religiösen Weltanschauung“ vor und war über den Entscheid, die Texte zu entfernen, mehr als erfreut. Auch wenn Lönning unterstreicht, er sei kein Kreationist und glaube auch nicht, dass die Welt vor 10.000 Jahren entstand, sind seine Kollegen da anderer Meinung.[xiii] 

Man muss solche und ähnliche (hier kurzgefasste!) Entwicklungen und Überzeugungen der Kreationisten in aller Welt immer im Hinterkopf behalten, wenn - wie aktuell - Medienberichte über „prügelnde Christen-Sekten“ aufkommen.

Diese Menschen leben in ihrer Welt und es ist zu hoffen, dass den Kindern der Sekte „Zwölf Stämme“ in eine positive Zukunft blicken werden!


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Zum Thema


      "Es muss nicht alles so sein, es kann auch ganz anders sein. Manche Rätsel sind Scheinrätsel, manche werden zu welchen gemacht, manche aber widerstehen ziemlich hartnäckig allzu glatten Erklärungsversuchen."
      (Walter-Jörg Langbein, 1993 in "Die großen Rätsel der letzten 2500 Jahre")



      Fussnoten

      [i] s. a. weitere Umfragen hier: http://fowid.de/nc/datenarchiv/uebersicht/themenfeld/was-glaubt-wer-glaubt/
      [ii]              Herner, Christine: „Creation Science“ hat der Evolutionstheorie den Krieg erklärt, in: Wiener Zeitung, 7. September 2001
      [iii]              s. a.: Knox, Buch: James Ussher, Archbishop of Armagh. University of Wales Press, 1967
      [iv] Voß, Oliver: Gott schuf die Erde, und sie ward eine Scheibe, Spiegel online, 19. April 2004, unter: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,295513,00.html
      [v]              Mack, Günther: Wie entstand die Welt wirklich? in: GEO, Nr. 2/2001
      [vi]              Die gläubige Nation: Wie die Krieger Gottes das amerikanische Bildungssystem unterwandern, WDR Kulturmagazin, 4. März 2001
      [vii] Brasseur, Anne: The dangers of creationism in education. Committee on Culture, Science and Education, 17. September 2007 (Doc. 11375) unter: http://assembly.coe.int/Mainf.asp?link=/Documents/WorkingDocs/Doc07/EDOC11375.htm
      [viii] Europarat gegen Schöpfungslehre im Unterricht. 5. Oktober 2007 unter: http://www.eann.de/europarat-gegen-schoepfungslehre-im-unterricht/148/
      [ix]              Die gläubige Nation: Wie die Krieger Gottes das amerikanische Bildungssystem unterwandern, WDR Kulturmagazin, 4. März 2001
      [x]              Sieben bibeltreue Väter müssen ins Gefängnis, Spiegel online, 9. Oktober 2004, unter: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,322314,00.html
      [xi]              Sieben Väter widerstandslos verhaftet, Spiegel online, 18. Oktober 2004, unter: http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,323695,00.html
      [xii]             Die Statistik findet sich auch online: http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Evolution_Kreationismus_Deutschland_2005.pdf  (Ich empfehle die Suchfunktionen unter http://fowid.de/home/ um auch andere Statistiken einzusehen.)
      [xiii]            Entwürfe in Gottes Namen, in: Die Zeit, 19/2003